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Hodenkrebs Erfahrungsbericht von Dirk-Oliver Grammel Hodenkrebs Erfahrungsberichte

Ich heiße Dirk-Oliver Grammel und wurde am 04. Oktober 1970 in Gelsenkirchen geboren.
Ich berichte hier von Erlebnissen, die mein Leben nachhaltig verändert haben.

Es ist Sommer. Spätsommer im Jahre 2005. Ich bin verheiratet und Vater zweier Töchter, die 9 und 8 Jahre alt sind. Meine Frau und ich sind nun mehr 9 Jahre verheiratet. Im Jahr 2000 haben wir unseren Traum vom Eigenheim verwirklicht und in einer kleinen Ortschaft im schönen Hunsrück ein Haus gebaut. Ich habe einen guten Job, der mir sehr viel Spaß macht. Gerade habe ich in unserem Garten eine Treppe im Terrassenhang fertig gestellt. Seit einigen Wochen schon fühle ich mich gereizter als sonst. Irgendwie fühle ich mich schon sehr lange irgendwie gestresst. Ein Gefühl nach Urlaub ist in mir. Halt eine allgemeine Erschöpfung, die ich aber nicht ernst nehme, denn es muss ja irgendwie weitergehen. Schwäche zeigen ist in unserer Zeit nicht angesagt. Irgendwie geht es doch immer weiter. Und ernsthaft krank wird man doch nicht in meinem Alter. Auf der Arbeit gerate ich oftmals mit Kollegen aneinander wenn etwas nicht so läuft wie ich es erwarte.

Morgen ist ein Ausflug mit meinen Töchtern geplant. Ich möchte mit ihnen mit der Bahn von Koblenz nach Köln fahren und ein paar Anlaufpunkte in der Stadt besichtigen. Ein Besuch im Schokoladenmuseum und natürlich der obligatorische Besuch des Kölner Doms sind geplant. Ich reinige noch den Gartenteich und lasse dann den Tag ausklingen.

Am kommenden Tag brechen wir früh auf. Es ist Freitag. Freitag der 29. Juli 2005.
Ein schöner aber anstrengender Ausflugstag steht an. Es ist sehr heiß. Am Ende des Tages kommen wir spät nach Hause und wir sinken alle geschafft in unsere Betten.

Am darauffolgenden Tag werde ich durch sehr starke Schmerzen wach. Es ist ein Schmerz, der gürtelförmig von den Hoden über den Unterbauch in den tiefen Rücken ausstrahlt. Ebenso ein starkes Ziehen in den Leisten. Solche Schmerzen habe ich zuvor noch nie gehabt. Rückenschmerzen kenne ich schon seit Jahren, aber solche Schmerzen nicht. Den ganzen Tag versuche ich irgendeine Position bzw. Körperhaltung zu finden, die mir die Schmerzen nimmt. Die Schmerzen halten den ganzen Tag an.

Am kommenden Tag, Sonntag dem 31. Juli 2005 sind die Schmerzen unverändert vorhanden. In der vergangenen Nacht war an Schlaf nicht zu denken. Ich rette mich mit einer Wärmflasche durch den Tag, die etwas Linderung zu verschaffen mag. Am Montag nach diesem Wochenende wollte ich eigentlich zum Hausarzt gehen um die Schmerzen abzuklären, doch wie das immer so ist, die Schmerzen sind nun sehr viel schwächer und ich mache mir selbst Hoffnung, das sie bald ganz verschwinden werden. Wenn ich mich nach Hinten beuge, dann spüre ich einen ziehenden Schmerz in der linken Leiste und ansonsten sind es tief sitzende Rückenschmerzen und ein Schmerz den ich als Nierenschmerz oder Nierenstechen auf der linken Seite interpretiere.

Es schließt sich ein Zeitraum vom 02. August 2005 bis zum 22. August 2005 an.
Ich lebe mit den Schmerzen, die sich so verändert haben, dass sich mittlerweile ein Unwohlsein im Bauchraum (Unterbauch sowie linke Bauchseite) eingestellt hat, welches manchmal intensiver und manchmal so gut wie überhaupt nicht vorhanden ist. Es ist wie ein Völlegefühl und ab und an sticht es auf der linken Seite. Ich werde nun fast jede Nacht in den frühen Morgenstunden wach mit Schmerzen im tiefen Bereich der Lendenwirbelsäule und mit einem ziehenden Schmerz in das linke Becken bzw. Gesäßbereich. Es ist wie ein Nierenschmerz, so als ob die Niere nicht richtig durchblutet wird beim längeren liegen. So kommt es mir als medizinischem Laien vor. Bewegung durch die Wohnung bringt die Schmerzen bzw. Beschwerden zum Verschwinden.

Anfangs taten beide Flanken weh, dann aber nach ein paar Tagen konzentrierte sich alles auf die linke Seite. Später konnte ich die Nacht nur noch auf der rechten Seite liegend verbringen. Zudem bin ich Schweißgebadet.

Am 22. August 2005, am ersten Tag meines Sommerurlaubes, entschließe ich mich der Sache nachzugehen. Da ich ein orthopädisches Problem vermute, gehe ich zu meiner örtlichen Orthopädin. Sie untersucht mich und richtet mich im Bereich der LWS und führt eine Wärmebehandlung durch. Sie vermutet eine Nervenentzündung und verschreibt mir die Medikamente DuoArthrex und Tetrazepam Sandoz 50mg, ein Muskelrelaxant. Sie meint, dass die Beschwerden bis zum Mittwoch 24. August 2005 verschwinden müssten.

Am Folgetag, dem 23. August 2005 will ich zur Sicherheit meinen Hausarzt besuchen wegen der Beschwerden. Er hat Urlaub, so dass ich zu seiner Vertretung gehe. Ich erkläre ihm den Fall und er vermutet auf ein Problem im Bereich der LWS und richtet mich ebenfalls an der LWS. Ich dränge auf eine Urinuntersuchung, weil ich ein Nierenproblem vermute. Nach seiner Aussage ist der Urin unauffällig und da ich nicht auf Klopfschmerz der Nieren anspreche schließt er ein Nierenproblem aus.

Am 25. August 2005 gehe ich wieder zur Orthopädin und berichte ihr, dass die Problematik weiterhin besteht. Da ich bereits in 1992 eine Vorwölbung der Bandscheibe am LW5 aufwies vermutet sie nun eventuell einen Bandscheibenvorfall und veranlasst ein CT der LWS. 30.

August 2005. Das CT der LWS wird am Radiologischen Institut Koblenz angefertigt und zeigt keinerlei Auffälligkeiten. Ein Bandscheibenvorfall ist nicht ersichtlich. Erneuter Besuch bei meiner Orthopädin am 01. September 2005 und Besprechung des CT-Befundes. Sie meint eine leichte Arthrose der kleinen Wirbelgelenke an der LW4/5 zu erkennen. Sie schlägt eine Blutentnahme am Mo 05. September vor um auf Risikofaktoren für Morbus Bechterew sowie Rheuma zu überprüfen. Als Versuch will sie mir eine Spritze mit einem entzündungshemmenden Medikament in die kleinen Wirbelgelenke des LW5 geben. Ich soll ihr dann berichten ob die Beschwerden dadurch gelindert wurden.

Aus nervlicher Anspannung entscheide ich mich wegen eines immer wieder stechenden Schmerzes in der linken Nierengegend mich in die Ambulanz unseres Kreiskrankenhauses zu begeben. Der diensthabende Arzt macht abends eine Sonographie meines Abdomens und stellt eine Ungereimtheit im Bereich der Aorta fest. Er hält es erst für ein Anorisma oder ein Abszess. Eine genauere Diagnose ist nicht möglich weil ich nicht nüchtern bin. Er hält Rücksprache mit dem Oberarzt. Dieser entscheiden, dass ich stationär aufgenommen werden soll zur weiteren Abklärung. Es wird Blut abgenommen und eine Entzündung, also ein Abszess im Bauchraum, ausgeschlossen.

02. September 2005. Drei Internisten des Kreiskrankenhauses untersuchen mich und machen eine Sonografie meines Abdomens. Erst wird wieder ein Anorisma angenommen, dann fällt die Diagnose „stark vergrößertes paraaortales Lymphknotenpaket“. Man überprüft mit dem Ultraschall meine Leistenlymphknoten, die vollkommen unauffällig sind. Eine leichte arthritische Veränderung des rechten Hüftgelenkes wird erwähnt. Es wird weiterhin ein großes Blutbild angefertigt sowie ein CT der Lunge bzw. des Thorax mit Kontrastmittel angefertigt. Ebenso fertigt man eine 2 Schicht Röntgenaufnahme des Thorax an. Weitere Untersuchungen finden an diesem Tage nicht statt.
Man fragt mich ob ich an meinen Hoden eine Veränderung gemerkt habe. Nein, da ist alles unauffällig. Einem Urologen kann man mich erst am Montag vorstellen. Das zum Nachmittag vorliegende kleine Blutbild ist vollkommen in Ordnung, wie mir der Oberarzt erklärt.

Am Nachmittag eröffnet mir der Oberarzt, dass ich mit großer Wahrscheinlichkeit an einem Lymphdrüsenkrebs Morbus Hodgkin bzw. einem Blutkrebs erkrankt bin. Man spricht davon, das ich lange Zeit meinem normalen Leben nicht nachgehen werden kann und beurlaubt mich für das Wochenende um meine persönlichen Sachen zu klären. Das ganze ist für mich ein Todesurteil. Ich denke an meine Frau und meine Kinder. Was wird nun passieren. Die Welt geht für mich in diesem Moment unter! Ich rufe meinen Hausarzt privat an und vertraue mich ihm an. Er sagt, dass ich direkt am Montag zu ihm kommen soll.

05. September 2005, Montag. Nachdem das Wochenende durch eine ungeheure Nervenanspannung geprägt war nehme ich zuerst den Termin bei meiner Orthopädin zur Blutabnahme wegen der Rheumafaktoren wahr. Dort wird auf die Schnelle eine Erhöhung der Blutsenkungsgeschwindigkeit BSG festgestellt, was auf eine Entzündung hindeuten könnte, wie man mir sagt. Anschließend besuche ich meinen Hausarzt. Dieser hat schon mit den Kollegen des Krankenhauses telefoniert und geht direkt zur Sonografie meines Abdomen über. Auch er befindet ein stark vergrößertes paraaortales Lymphknotenpaket. Milz und alle anderen Organe sind unauffällig. Er tastet meine peripheren Lymphknoten ab, die unauffällig sind. Es wird Blut für ein großes Blutbild abgenommen. Dann veranlasst er ein CT des Abdomen.

Ich fahre in das Radiologische Institut Koblenz. und erfahre nach Durchführung des CTs, dass es sich tatsächlich um ein großes Lymphknotenpaket handelt, welches eine Ausdehnung von ca. 15 cm Länge und einem Durchmesse von bis zu 9 cm hat. Ein Folgetermin am Donnerstag zur Gewebeentnahme an diesem Lymphknoten wird vereinbart.

Am Nachmittag besuche ich zur weiteren Abklärung den Urologen. Diesem schildere ich die Ereignisse. Er macht eine Tastuntersuchung sowie sonografische Untersuchung meiner Hoden und stellt keinerlei Auffälligkeiten fest. Die Nieren sind auch nicht auffällig oder gestaut. Weiterhin wird Urin und Blut abgenommen. Das Blut soll zur allergrößten Sicherheit auf Tumormarker von Hodenkrebs untersucht werden. Nun spricht man das erste Mal von Hodenkrebs!

Am 06. September 2005 fahre ich zu meinem Hausarzt, der die vorbereitenden Untersuchungen für den Eingriff am Donnerstag macht. Am Donnerstag will man eine CT-gesteuerte Punktion des Lymphknotenpaketes im hinteren Bauchraum unter Vollnarkose vornehmen. Alles ist soweit in Ordnung. Die Blutwerte deuten nach seiner Aussage eigentlich nicht auf eine Systemerkrankung wie Morbus Hodgkin hin und sind ohne Befund. Bei der Durchsicht fällt mir als Patient nur auf, dass der LDH Wert bei mir über 500 liegt. Er hat dies aber nicht erwähnt.

Am 08. September 2005 findet die Punktion des paraaortalen Lymphknotens im Radiologischen Institut Koblenz statt. Der Ablauf erfolgt ohne Komplikationen. Der Arzt, der die Punktion durchgeführt hat, empfiehlt mir dringend mich direkt in kompetente Hände zu begeben und verweist mich an die Praxisklinik für Hämatologie und Onkologie Koblenz, die sich auch im gleichen Gebäude befinden. Ein Vorstellungstermin für Freitag den 16. September 2005 wird vereinbart.

Die Praxisklinik für Hämatologie und Onkologie Koblenz hat mich informiert, das ich bereits am Donnerstag dem 15. September 2005 um 14:00 Uhr einen Termin haben kann. Ich nehme dankend an. Mein Arzt ist Dr. Weide, dem ich meine Krankheitsgeschichte erzähle. Dr. Weide untersucht mich sonografisch (Abdomen und Thorax). Ebenso untersucht er meine Hoden mit dem Ultraschall und entdeckt eine Raumforderung von 12x7mm in meinem linken Hoden. Nach einen Gespräch mit dem Radiologen zu meinem CT Abdomen und seinem Ultraschallbefund erklärt er mir, das er die Raumforderung in meinem linken Hoden für den Primärtumor hält und das dies sehr sicher zu dem histologischen Befund des Pathologen zu der Gewebeprobe des CT-Gesteuert punktierten paraaortalen Lymphknotens passt. Er rät mir zu einem direkten Beginn einer Chemotherapie.

Zwischenzeitlich liegt auch das Ergebnis der entnommenen Gewebeprobe vor. Es handelt sich dabei um Gewebe aus einer Metastase eines Hodenkrazinoms. In meinem Fall ein embryonaler nicht seminomatöser ß-HCG-positiver Keimzelltumor (Hodenkrebs). Er ist höchst bösartig.

Am 16. September 2005 beginne ich mit der Chemotherapie. In der Vergangenheit wurde ich immer wieder mal mit diesem Begriff konfrontiert. Genaues ist mir aber nicht bekannt. Mein Onkologe hat mir das Prinzip erläutert und mich natürlich auch über die möglichen Nebenwirkungen aufgeklärt. Angst verspüre ich keine, denn von Anfang an versuche ich diese Therapie nicht als etwas „böses“ zu sehen, sondern als das Mittel gegen den Feind, den Krebs.

Vom 16. September 2005 bis zum 05. Dezember 2005 verbringe ich die Zeit mit Chemotherapie. Ich werde nach dem PEB-Schema behandelt. Ich habe mich bewusst für eine ambulante Therapie entschlossen, da ich gerne daheim bei meiner Familie sein möchte. Wer mag auch schon das Krankenhaus. Ich absolviere in dieser Zeit 4 Zyklen dieser Chemotherapie. Diese Therapie beinhaltet die Zytostatika Cisplatin, Etoposid und Bleomycin. Mein Onkologe Dr. Weide schlägt mir einen Erholungsurlaub vor nach der Chemotherapie. Ein Termin zur Abschlussuntersuchung nach der Chemotherapie wird für den 03. Januar 2006 vereinbart.

Die Abschlussuntersuchung am 03. Januar 2006 zeigt eine nochmalige Verkleinerung der paraaortalen Lymphknotenmetastase. Als weitere Therapie empfiehlt mir Dr. Weide eine retroperitoneale Lymphadenektomie sowie eine Orchiektomie des linken Hodens. Er empfiehlt dies in der Urologie des Uniklinikums Mainz durchführen zu lassen. Er untersucht nochmals meinen linken Hoden und sagt mir dann, dass er zwar im linken Hoden immer noch etwas sieht, sich aber nicht mehr sicher ist, dass dies mit dem Krebsleiden unmittelbar zu tun haben muss. Er ordnet nun das MRT der Hoden an, welches mein Urologe schon während der gesamten Therapie haben wollte.

06. Januar 2006. Das MRT der Hoden wird gemacht. Dr. Weide bespricht dieses mit mir. Diagnose: rechter Hoden o.B. und linker Hoden inhomogen, was für ein tumoröses Geschehen in diesem Hoden spricht. Der Hoden soll auf jeden Fall entfernt werden.

10. Januar 2006. Ich stelle mich in der Urologie der Uniklinik Mainz bei einem jungen Arzt vor. Er ist sehr verwundert, dass mir bisher der Hoden noch nicht entfernt wurde. Das Gespräch erzeugt bei mir eine gewisse Unsicherheit bzw. Unbehagen. Es wird davon gesprochen, dass die Chemotherapie wirkungslos sein könnte, da der Primärtumor im Hoden ja eventuell noch Krebszellen, die überlebt haben könnten weiterhin in den Körper sendet. Er spricht davon, dass die RPLA (Abkürzung für die geplante große OP) eine retrograde Ejakulation erzeugen wird. Aus der Literatur und einem Vorgespräch mit Dr. Weide und meinem Urologen ist mir bekannt, das dies heute eigentlich nervschonend operiert werden kann und in 80-90% der Fälle vermieden werden kann. Ich bin verunsichert. Das Gespräch muss immer wieder unterbrochen werden und am Ende war ich über 6 Stunden zur Vorstellung dort gewesen. Ich verlasse das Uniklinikum Mainz mit keinem guten Gefühl.

Ich suche am Folgetag direkt meinen Onkologen Dr. Weide auf und berichte ihm von dem Gespräch und Ablauf in Mainz. Er beruhigt mich wieder und geht auf die angesprochenen Dinge ein. Er rät mir trotzdem mich in Mainz operieren zu lassen wegen der sehr guten Fachkompetenz. Ich gehe darauf ein weil ich ihm vertraue. Tja, was soll ich schreiben. Meine Ängste vor dieser großen Operation waren bedeutend größer als die vor der Chemotherapie. Ich gehöre zu den Patienten, die alles ganz genau wissen möchten. Das ist manchmal gut und manchmal auch weniger gut. Aber wie sagte mal ein Arzt zu mir „Jemand, der nachts aufsteht und sich Gedanken darum macht warum die Kanaldeckel rund sind, der wird sich ebensolche Sorgen und Gedanken um die Therapie und die Krankheit machen“, und damit hat er vollkommen Recht behalten.

Ich weiß nicht wie viel Literatur ich mittlerweile zu dem Thema Hodenkrebs verschlungen habe, Internetseiten durchstöbert habe, etc. aber es ist nicht wenig. Und über diese berüchtigte OP habe ich natürlich ebenso viel gehört und gelesen. Es ist ein Eingriff, der sich je nach Erfahrung des Operationsteams und nach vorhandenen Komplikationsfaktoren über einen Zeitraum von ca. 8-10 Stunden erstrecken kann. Manchmal auch mehr. Eine OP bei der viel passieren kann. Deshalb ist darauf zu achten, dass man solch einen Eingriff wirklich nur an einem Zentrum durchführen lässt, dass in diesem Eingriff eine gewisse Routine bzw. Erfahrung hat.

Da der Eingriff immer noch selten ist, durch die relativ geringe Anzahl der Hodenkrebspatienten, die dieser OP nach Chemotherapie noch zugeführt werden müssen, ist es auch schwer ein relativ erfahrenes Zentrum zu finden. Grundsätzlich lässt sich jedoch sagen, wie ich denke und der gängigen Literatur entnehmen konnte, dass man an Unikliniken und spezialisierten großen Zentren gut damit aufgehoben ist.

In meinem Fall wurde der Eingriff an dem Universitätsklinikum der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz durchgeführt. Und zwar in der Urologie unter Leitung von Prof. Dr. Thüroff. Nachdem eine Magen-Darm-Grippe, die mich einen Tag vor der Aufnahme in der Uniklinik Mainz heimsuchte, den OP-Termin um eine Woche verzögert hatte wurde ich am 29. Januar 2006 in der Urologie der Uniklinik Mainz stationär aufgenommen. Nach der normalen Aufnahmeprozedur (Anmeldung, Voruntersuchung durch den Anästhesisten sowie den Stationsarzt der Urologie) erfolgte am 30. Januar 2007 die Retroperitoneale Lymphadenektomie sowie die inguinale Semikastratio links. Die Operation dauerte in meinem Fall ca. 8 Stunden.

Ich erwachte in der Aufwachstation der Urologie und der Oberarzt erklärte mir mit seinem Ärzteteam, das die OP sehr gut verlaufen wäre. Die Schnellschnitte hätten keine vitalen Tumorzellen mehr ergeben, aber man müsste nun natürlich die genaue histologische Untersuchung abwarten, die wohl in ein paar Tagen vorliegen würde. Man hätte auch nervschonend operieren können. Alles war ein wenig fremd.

Man hatte mir eine Magensonde gelegt, die über die Nase in den Magen führte und dafür sorgte, alle aus dem Magen anfallende Flüssigkeit abzusaugen. Nach einem solchen Eingriff ist natürlich in keiner Art und Weise daran zu denken, dass man in den nächsten Tagen normale Kost zu sich nehmen kann. Schließlich wird bei dieser OP der gesamte Darm aus dem Bauchraum entnommen und alles mögliche von seinem ursprünglichen Platz verschoben, da die Operateure bis in den hinteren Bauchraum eindringen müssen um die verbliebenen Residualtumorreste zu entfernen. Ein Eingriff, der den gesamten Organismus extrem belastet.

Auf das Legen irgendwelcher Drainagen, wie man sie eigentlich bei fast jeder etwas größeren OP her kennt, wurde in meinem Fall verzichtet. Die OP, so erklärte man mir später, wurde nach neuesten Erkenntnissen, die man in der Charite in Berlin gewonnen hatte, durchgeführt. Auf der Aufwachstation entwickelte ich etwas Temperatur als einzige Nebenwirkung und man musste mir hoch dosiert intravenöse Antibiotika geben. Nach drei Tagen wurde ich auf die normale Station verlegt.

Nun erkannte man, das man mir die Magensonde (die mich allerdings auch ziemlich gestört hatte) zu früh entfernt hatte. Nachdem ich nämlich auf meinem Zimmer angekommen war musste ich mich erst mal aufs Heftigste übergeben. Am kommenden Tag lies ich mir freiwillig wieder eine Magensonde legen, was unter Bewusstsein wahrlich kein Vergnügen darstellt.

Die Schmerzen waren eigentlich jederzeit zu ertragen. Ich war an eine Schmerzpumpe angeschlossen und konnte mir bei einsetzenden Schmerzen bzw. in regelmäßigen Abständen selbst eine Dosis über einen Druckknopf verabreichen. Die Betreuung in der Urologie in Mainz war jederzeit freundlich, einfühlsam und kompetent. Ich fühlte mich dort jederzeit sehr wohl, wenn man das so unter diesen Umständen definieren kann. Nach einigen Tagen konnte ich wieder mit leichtem Kostaufbau beginnen. Süppchen und Zwieback waren angesagt und nach mehr war mir auch nicht zumute. Ab und an musste ich noch erbrechen, aber es ging immer mehr bergauf.

Am 08. Februar 2006 wurde ich bereits entlassen. Einen Tag bevor ich entlassen wurde teilte man mir dann das Ergebnis der histologischen Untersuchung des herausoperierten Resttumorgewebes mit. Dieses Ergebnis stellte für mich einen herben Rückschlag dar.

Ausschnitt aus dem Bericht:
Am Gewebe eines dargestellten Lymphknotens, der noch partiell vitales Tumorgewebe enthielt, zeigte sich an diesem eine Positivität gegenüber Cytokeratin und gegenüber PLAP, AFP, CD 30 und Beta-HCG werden nicht exprimiert. Zusammenfassend bestätigt sich nun somit nach Vorliegen des immunhistochemischen Profils die bereits klinischerseits genannte Typisierung des zugrundeliegenden Hodentumors als embryonales Karzinom.

An diesem Tag stellte ich mich noch zur Beratung der weiteren Therapie in der Onkologie der Uniklinik Mainz vor. Man riet mir aufgrund der noch vorhandenen Krebszellen zur Vorbeugung nochmals zwei Zyklen Chemotherapie nach dem PEI-Schema ambulant zu machen. Während der gesamten Therapie trug mich das Vertrauen zu den behandelnden Ärzten, so dass ich den Vorschlag annahm, mich jedoch dafür entschied, diese Therapie bei meinem bisher behandelnden Onkologen ambulant in Koblenz durchführen zu lassen. Nachdem ich mich eine Zeit lang von den Strapazen der OP erholt hatte wollte ich die noch ausstehende Chemotherapie so schnell wie möglich hinter mich bringen um endlich in das „normale“ Leben wieder zurückzukehren.

Im März 2006 absolvierte ich dann die 2 Zyklen der PEI-Chemo, wie geplant bei meinem Onkologen in Koblenz ambulant. Ich vertrug diese genau so gut wie die 4 Zyklen PEB-Chemo, wenn auch manche Leute mir gesagt hatten, dass das PEI-Schema belastender ist. Im April 2006 fuhr ich mit meinen Töchtern an die Nordsee in den Urlaub um für ein wenig Erholung für uns alle zu sorgen. An dieser Stelle, möchte ich über das gesamte Ausmaß dessen berichten, was mich und meine Familie in dieser zeit eingeholt hatte.

Im August 2005 hatte meine Frau einen Knoten in ihrer linken Brust entdeckt. Zu dieser Zeit befand sich meine Mutter mit dem Verdacht auf Darmkrebs im Krankenhaus, der sich zum Glück nicht bestätigte. Zu dieser Zeit hatte ich bereits die am Anfang beschriebenen Symptome bei mir entdeckt, diese jedoch nicht ernst genug genommen, da ich mir nur Sorgen um meine Frau machte. Nachdem meine Frau untersucht wurde erhielten wir die Diagnose Brustkrebs. Unsere bis dahin heile Welt brach in sich zusammen. Wenige Tage später erhielt ich ja dann ebenso die Diagnose Krebs.

Ich möchte in diesem Bericht nicht weiter auf die Erkrankung meiner Frau eingehen, möchte aber mitteilen, dass sie ihre Therapie zum Glück bestens hinter sich gebracht hat und sich heute ebenso wie ich bester Gesundheit erfreut. Allerdings hatte sich meine Frau durch diese ganzen schlimmen Ereignisse derart verändert, dass sie ihr gesamtes Leben und somit auch unsere Partnerschaft in Frage stellte.

Als ich im Mai 2006 meine Rehakur in Bad Wildungen über 4 Wochen machte, eröffnete sie mir, das sie mich verlassen würde. Ich will ganz emotionslos darüber berichten, denn jeder kann sich wohl denken was sich in mir abspielte zu dieser Zeit. Ich fühlte keinen Boden mehr unter den Füßen und hatte das Gefühl, das man mir nun auch noch das letzte bisschen Zuversicht und Rückhalt wegnimmt. Als ich aus der Kur zurück kam, zog meine Frau aus unserem gemeinsamen Haus aus. Es gab traurige Momente in denen ich einsam auf einem Stuhl im leeren Wohnzimmer saß und nicht mehr richtig wusste wie es weitergehen sollte, aber auch wenn ich dachte, das dies die Spitze des Eisberges sei, diese hatte ich noch lange nicht erklommen.

Am 08. Juni 2006 stürzte ich mich wieder in die Arbeit. Die Rehakur hatte ich nach drei Wochen eine Woche früher abgebrochen wegen meiner privaten Probleme. Auch wenn mir die Arbeit gut zu tun schien, weiß ich heute, das es ein großer Fehler war zu diesem Zeitpunkt bereits wieder arbeiten zu gehen. Ich war von meinen geistigen und körperlichen Kräften weit davon entfernt meiner Arbeit in vollem Umfang nachgehen zu können. Doch auch hier zeigte sich mein Kampfgeist und alle waren verblüfft wie gut ich wieder im Sattel saß.

Anfang Juli 2006 hatte ich meine erste Nachsorgeuntersuchung, die alle 3 Monate geplant sind. Das Ergebnis lautete, das alles in Ordnung sei. Ich hatte sporadisch auftretende Nervenschmerzen im linken Bein nach der Operation weswegen mich mein Onkologe zu einem Neurologen überwies. Da dieser gerade seinen Sommerurlaub hatte, beschloss ich diesen ebenso nach meinem geplanten Sommerurlaub aufzusuchen. Ich fuhr mit meinen Töchtern an die schöne Nordsee.

Ich hatte eine sehr liebe Frau im Internet kennengelernt über die Seite von Thomas Bonk, deren Sohn ebenso Hodenkrebs hatte. Der Austausch mit ihr war mir eine sehr große Hilfe gewesen. Ich besuchte Sie und ihre Familie an der Nordsee, wo sie eine Ferienwohnung vermieten in der wir uns eine Woche einquartierten. In diesem Urlaub, der sehr schön für uns drei war, merkte ich jedoch wieder, dass ich irgendwie nicht so leistungsfähig war, wie in den vergangenen Wochen. Irgendwie ging es mir nicht gut. Ich musste mich zu allen Aktivitäten zwingen, wollte meinen Töchtern aber auch nicht den Urlaub verderben und machte alles mit.

Die Nächte wurden wieder unruhiger und ich wurde in den frühen Morgenstunden immer wieder wach. Rückenschmerzen tauchten wieder auf. Irgendwie wusste ich was da gerade in meinem Körper passierte, wollte es aber nicht wahrhaben, denn man hatte mir doch gerade gesagt, das alles in Ordnung sei.

Als wir wieder zurück waren aus dem Urlaub, ging ich zu meinem Hausarzt. Mein Hausarzt meinte, dass ich wohl einfach zu viel mitgemacht hätte und riet mir zu dies noch ein paar Tage zu beobachten. Schließlich sei ich ja auch ausgiebig operiert worden am Bauch und da könnte es schon auch zu immer wieder auftretenden Beschwerden kommen. Da ich sowieso keine Zeit hatte und in dieser Woche noch beruflich auf einen Lehrgang nach Hamburg musste, passte mir diese Aussage ganz gut. Wieder redete ich mir selbst Mut zu, dass es vielleicht doch nichts Ernstes ist.

Während dieser Woche verschlechterte sich mein Zustand derart, dass ich wahnsinnige Schmerzen bekam. Ich besorgte mir die stärksten frei erhältlichen Schmerzmittel in einer örtlichen Apotheke, die jedoch nichts brachten. Ich rief meinen Onkologen aus Hamburg an und machte mit ihm einen Termin aus. Direkt nach dem Lehrgang ließ ich mich in Koblenz untersuchen und das was mich nun erwartete war noch schlimmer als die Erstdiagnose.

An diesem Tage, dem 04. September 2006, wurde ein CT Abdomen/Becken sowie Thorax angefertigt, sowie Blut entnommen und die Tumormarker sowie ein großes Blutbild bestimmt. Das Ergebnis, welches mir mein Onkologe mit besorgtem Gesichtsausdruck und merklich betroffen, präsentierte war mehr als dramatisch.

In seinem Arztbrief schrieb er folgendes:
Die aktuelle Kontrolluntersuchung ergab leider ein ausgedehntes Tumorrezidiv paraaortal, paracaval sowie den dringenden Verdacht auf das Vorliegen einer Peritonealcarcinose. Ich habe diese Befunde mit Herrn Grammel ausführlich besprochen und ihm empfohlen eine nochmalige histologische Sicherung mittels CT-gesteuerter Punktion durchführen zu lassen. Weiterhin wurde als Therapiestrategie eine nochmalige PEI-Chemotherapie vereinbart, nach der periphere Blutstammzellen gesammelt werden sollten. Nach erfolgreicher Sammlung peripherer Blutstammzellen würde sich dann eine Hochdosischemotherapie mit autologer Stammzelltransplantation anschließen. Über den genauen weiteren Verlauf, Diagnostik und Therapie werde ich Ihnen in regelmäßigen Abständen berichten.

Da ich alleine diesen Arzttermin wahrgenommen hatte (was ich seitdem nicht mehr mache!) stand ich völlig neben mir. Ich weiß heute gar nicht mehr wie ich überhaupt in der Lage war nach Hause zu fahren.

Im September 06 wurde mir ein Zyklus der PEI-Chemotherapie verabreicht. Unter diesem Zyklus gingen die Tumore um ca. 1/3 in ihrer Größe zurück. Im Anschluss an diesen Zyklus Chemotherapie wurde an zwei Tagen in der Uniklinik Mainz über eine spezielle Apharese-Maschine meine Stammzellen gewonnen, die für die spätere Hochdosischemotherapie benötigt werden. Das ist eine Maschine, die an eine Dialyse-Maschine erinnert. Man bekommt in beide Armbeugen eine entsprechend dimensionierte Kanüle und das gesamte Blut, welches sich im Körper befindet, wird ein paar Mal durch diese Maschine geleitet. Über entsprechen komplizierte Filtermechanismen wird eine entsprechende Anzahl von Blutstammzellen (dies sind sogen. Vorläuferzellen) gewonnen. Am Ende erhält man zwei oder drei Transfusionsbeutel mit einem Inhalt von vielleicht 2 großen Kaffeetassen. Diese Blutstammzellen werden dann in flüssigem Stickstoff eingefroren.

Zuvor musste ich noch nach dem Zyklus PEI-Chemotherapie zur Wachstumsanregung der Stammzellen Neupogen spritzen. Dies waren kleine Bauchspritzen, die man sich in gewissen Abständen selbst daheim verabreichen musste. In diesen Tagen des Wartens musste man dann andauernd zur Blutkontrolle und am Tag X wurde einem dann gesagt, das man sich ins Taxi setzen sollte und zur Blutstammzellentnahme fahren sollte. Da sich die Tumormasse so gut verkleinert hatte, beschlossen die Ärzte mir noch einen weiteren Zyklus PEI-Chemotherapie zu verabreichen um die Tumormasse vor Beginn der geplanten Hoschdosischemotherapie so gering wie möglich zu halten.

Dieser Zyklus Chemotherapie wurde mir im Oktober 2006 appliziert. Man machte mir aber von Anfang an klar, dass man ohne eine Durchführung der Hochdosischemotherapie keine Heilung für mich in Sicht sah. Während diesem zweiten Zyklus Chemotherapie ging es mir immer schlechter. Wahnsinnige Schmerzen traten auf während der anschließenden Erholungsphase.

Für den 13. November 2006 war die Aufnahme zur Durchführung der Hochdosischemotherapie in der Uniklinik Mainz geplant. Wieder mal war ich zu tapfer, wie sich später herausstellen würde, denn diese Schmerzen, die ich in der Zwischenzeit ertrug, wurden mir später von den Ärzten im Krankenhaus als Vernichtungsschmerzen oder Todesschmerzen erklärt. Ich konnte nicht mehr schlafen und liegen. Die Schmerzen kann ich heute gar nicht mehr beschreiben. Ich schlief immer ein wenig im Sitzen am Esstisch im Wohnzimmer mit einem Kissen auf der Tischplatte, weil ich nicht mehr liegen konnte. Aber selbst so fand ich immer nur für kurze Zeit etwas Schlaf und das auch nur wegen totaler Erschöpfung.

Als ich am 13. November 2006 stationär aufgenommen wurde, setzten mich die Ärzte erst mal unter Morphin um mir die Schmerzen zu nehmen. Endlich konnte ich mal wieder im Bett liegen. Ein CT wurde angefertigt und natürlich die Tumormarker analysiert. Es stellte sich heraus, dass der Krebs stärker als zuvor in meinem Körper wütete. Die Tumormarker waren noch nie so hoch gewesen und die Tumore waren in ihren Dimensionen wieder gewachsen. Das einzige was sich stabil hielt war die örtliche Begrenzung auf den linken Bauchraum. Alle anderen Körperregionen waren zum Glück ohne Befund.

Die Ärzte erklärten mir, dass zur Durchführung der geplanten Hochdosischemotherapie eine Stabilisierung der Krankheit unabdingbar sei bzw. der Nachweis einer Wirksamkeit, der zur Durchführung der Hochdosischemotherapie geplanten Chemotherapeutika, vorhanden sein müsste. Leider war das somit in meiner Situation nicht gegeben und man sagte die geplante Therapie ab. Dies drückte meine Stimmung ungemein. Ich hatte das erste Mal das Gefühl, dass man mich aufgeben könnte. Man hatte in dieser Situation auch keinen weiteren Therapieansatz mehr parat.

Gegen Abend kam der Stationsarzt zu mir und erklärte mir, dass man sich beraten habe und eine alternative Chemotherapie mit Oxaliplatin und Gemcitabine für den nächsten Tag geplant habe. Das gab mir wieder etwas Auftrieb und lies mich hoffen.

Am kommenden Tag startete man mit der neuen Chemotherapie. Da man mich nicht ausreichend mit antiemetischen Medikamenen gegen die drohende Übelkeit behandelt hatte reagierte ich leider zum ersten Mal mit heftigem Erbrechen auf diese Therapie, was meine Laune gänzlich nach Unten drückte.

Am 16. November 2006 wurde ich wieder nach Hause entlassen. Es war eine schwere Zeit. Mehr als zuvor beschäftigte ich mich nun mit der Vergänglichkeit meines irdischen Lebens. Ich dachte ständig daran wie es meinen Töchtern ergehen würde. Angst hatte ich nicht vor dem eigentlichen Tod, sondern davor unter qualvollen Schmerzen gehen zu müssen und nicht mit allem abgeschlossen zu haben.

Am 8. Tag nach der Erstgabe sollte mir nochmals Oxaliplatin verabreicht werden. Leider zeigte sich ein weiterer Anstieg der Tumormarker und Schmerzen traten ebenso wieder auf, so dass mein Onkologe die Therapie direkt einstellte. Wieder war ich sehr verzweifelt und spürte diese unheimliche Macht der Krankheit. Ich wurde nach Hause geschickt und man sagte mir, dass man sich erst beraten müsse.

Am 30. November 2006 war mein Tiefpunkt erreicht. Körperlich wie seelisch war ich am Ende. Ich hatte keinerlei Antrieb mehr für die grundlegenden Dinge des Lebens. Duschen konnte ich nur noch unter Aufsicht und meine Mutter, die mich in dieser Zeit liebevoll unterstützte, und mich stützen mußte beim Duschen. Meine Blutwerte waren sehr schlecht. An diesem Tag wurde ich zu meinem Onkologen gebracht, der direkt den Ernst der Lage erkannte und Blutkonserven für mich anordnete. Ich merkte nun, dass ich mittlerweile zu der „anderen“ Kategorie der Krebspatienten zählte in der Praxisklinik.

Zuvor nahm ich immer die Chemotherapien in einem bequemen Sessel entgegen in einem Raum mit anderen Patienten und nun wurde ich in einem gesonderten Bereich mit Patienten im Endstadium in ein Bett gelegt. Ich war sehr traurig. Meine Mutter begleitete mich und war an meiner Seite, was mir enorme Kraft gab. Nachdem ich eine Blutkonserve erhalten hatte kam mein Onkologe zu mir. Er erklärte mir und meiner Mutter nochmals eindringlich, dass meine Lage zwar sehr lebensbedrohlich sei aber immer noch nicht hoffnungslos. Er habe sich beraten und wolle ein für mich noch unbekanntes Chemotherapeutikum namens Taxol einsetzen. Ich bekam dieses Mittel noch am selben Tag im Anschluss an die Blutkonserven verabreicht.

Gerade wieder daheim angekommen begann mein Körper extrem auf diese neue Therapie zu reagieren. Ich begann Schüttelfrost zu bekommen und reagierte mit extremem Schwitzen. Als Laie würde ich es mit einem tropischen Fieber vergleichen. Auch mein Kreislauf reagierte mit extrem hohem Blutdruck und steigendem Puls. Die Applikation dieses Zellgiftes war wöchentlich veranschlagt. Ich erhielt dieses Mittel insgesamt 7-mal, zuletzt am 18. Januar 2007. Zu diesem Zeitpunkt befand ich mich in einer klinischen partiellen Remission (Normalisierung der Tumormarker Beta-HCG, PLAP und LDH).

Ein CT vom 12. Januar 07 zeigte eine deutliche Verkleinerung der Tumore. Schmerzen hatte ich keine mehr und das Morphin war mittlerweile abgesetzt worden. Ich sah nun wieder optimistischer in die nahe Zukunft und hoffte nun auf den durchschlagenden Erfolg der Hochdosischemotherapie, welche für den 22. Januar 2007 angesetzt war. Zuvor musste ich noch diverse Voruntersuchungen hinter mich bringen, zu denen u.a. eine kardiologische Untersuchung des Herzens und ein Herzultraschall gehörte, sowie ein ausgiebiger Lungenfunktionstest, ein CT der Nasennebenhöhlen sowie diverse Blutuntersuchungen.

In der Zeit vom 22. Januar 2007 bis zum 20. Februar 2007 befand ich mich im Universitätsklinikum der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz zur Durchführung der Hochdosischemotherapie.

Am 22. Januar wurde mir der ZVK (Zentralvenenkatheter) gelegt und die Eingangsuntersuchung durchgeführt. Vor diesem Eingriff hatte ich recht viel Angst gehabt, er stellte sich jedoch als ein kurzer Routineeingriff für den durchführenden Arzt dar, der nicht länger als 15 Minuten dauerte und keinerlei Schmerzen mit sich brachte.

Am 23. Januar wurde mit der Gabe der Chemotherapie gestartet. Ich erhielt Paclitaxel (Taxol), Carboplatin, Cyclophosphamid und Etoposid in einem recht komplizierten Verfahren über 24 Stunden-Applikationen mit jeweils einem Tag Pause. Die Begleitmedikamentation war enorm und ich fühlte mich als ob ich nur noch aus irgendwelchen Medikamenten bestehen würde.

Am 27. Januar wurde die Gabe der Zellgifte beendet. Am 30. Januar war dann der „Tag der Tage“ und ich erhielt meine Stammzellen in Form von zwei Transfusionsbeuteln zurück. Ein völlig unspektakulärer Vorgang, dem ich zuvor soviel Bedeutung zukommen gelassen hatte. Als Nebenwirkung der Therapie entwickelte ich eine Tachyarrhytmia absoluta (Vorhofflimmern des Herzens durch eine gestörte Erregungsleitung). Diese Nebenwirkung war nicht ungefährlich und machte den Ärzten große Sorgen. Mit Medikamenten war dieser Zustand nicht zu verändern und man sprach davon eine Elektrokadioversion durchzuführen, was bedeutet, dass man mich mit einem Elektroschocker behandeln wollte. Irgendwie beschäftigte mich das in meinem Unterbewusstsein wohl so, dass ich mir es anders überlegte und in den frühen Morgenstunden weckte mich die Nachtschwester erfreut und teilte mir mit, dass ich wieder ein normales EKG haben würde und fragte mich ob ich etwas gemerkt hätte. Da hatte wohl jemand Angst vor der angedrohten Therapie und hatte es sich anders überlegt;-)

Ansonsten suchten mich die üblichen Nebenwirkungen einer solchen Therapie heim. Sämtliche Schleimhäute zersetzten sich in den Tagen nach der Chemogabe, was heftige Durchfälle, Nasenbluten sowie starke Schmerzen im Mund- und Rachenraum zur Folge hatte. Gegen die Schmerzen im Mund- und Rachenraum musste man mir sogar eine „milde“ Morphiumtherapie verabreichen. Durch eine ständige begleitende Mundhygiene mit diversen Spülungen, die ich täglich durchführen musste wurde die Heilung beschleunigt. Nach einer gewissen Zeit des Leidens ging es dann wieder recht schnell bergauf. Bald schon ermöglichten die Blutwerte eine Aufhebung der Isolation und ich konnte die ersten Runden auf dem Stationsflur hinter mich bringen.

Diese Hochdosischemotherapie war eine ganz spezielle Erfahrung für mich. Mit ihr verbinde ich extreme körperliche und psychische Belastungen, die ich in dieser Art im Vorfeld noch nicht erlebt hatte. Besonders beeindruckte mich auch die liebevolle und kompetente Betreuung durch das gesamte Klinikpersonal. Noch nie zuvor war ich so abhängig von der Hilfe anderer Menschen und war deshalb sehr dankbar eine solche Betreuung erfahren zu dürfen. Eigentlich war meine Entlassung früher geplant, doch aufgrund eines plötzlich auftretenden Infektes, der mit erhöhter Temperatur einherging, verschob sich die Entlassung um eine gute Woche, so dass ich dann am 20. Februar 2007 nach Hause entlassen wurde.

Die weitere Zeit nutzte ich um mich schnell wieder zu erholen. Mittlerweile wurde mir eine Erwerbsunfähigkeitsrente, die vorerst bis zum 31.12.2008 befristet ist, bewilligt. Die erste Nachsorgeuntersuchung im März 2007 war ein freudiges und einschneidendes Erlebnis für mich. Sozusagen, der Lohn für all die Strapazen der vergangenen Zeit.

Nachdem ich im CT war kam mein Onkologe strahlend auf mich zu und verkündete mir, dass sich alle Tumore zurückgebildet hatten und nur noch ein paar Reste übrig wären, die nekrotischem Gewebe  entsprechen würden.

Im Arztbrief ist folgendes zu lesen:
Im Vergleich zur Voruntersuchung vom 30. November 06 sehr gute partielle Remission mit Nachweis residueller Gewebeformationen insbesondere links im Nierenhilus, 4,5x2,5x craniocaudal 5,0 cm messend. Streifige Verdichtungen des retroperitonealen fettgewebes. Liquide Struktur in Nachbarschaft zur linken Arteria iliaca communis, axial 3,6 cm messend. Dieser Befund ist vereinbar mit einer Lymphocele. Bei den Weichteilformationen im linken Nierenhilus kann nicht zwischen residuellem Fibrosegewebe und noch vitalem Tumorgewebe unterschieden werden. Thorakal keine neu aufgetretene Tumorformation.

Mittlerweile führe ich wieder ein ganz „normales“ Leben. Die viele Freizeit, die mir durch die Erwerbsunfähigkeitsrente beschert wurde, nutze ich intensiv um mich gänzlich zu erholen. Ich treibe regelmäßig Sport und gehe viel Spazieren. Im Ganzen bin ich ein ruhigerer und besinnlicherer Mensch geworden. Ich genieße die kleinen Dinge des Lebens umso mehr und verbringe viel Zeit mit meinen zwei Töchtern. Gerne möchte ich anderen Betroffenen oder Angehörigen eine Unterstützung bieten. Zum Erfahrungsaustausch bin ich gerne bereit. Am besten man schreibt mir einfach eine .


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